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04. Dezember 2009

Auf vielfachen Wunsch: Editorial - "Unappetitlicher Beigeschmack"

Wein ist mal wieder in die Schlagzeilen geraten. Weniger wegen der vielerorts erfreulichen Qualitäten, die der neue Jahrgang hervorgebracht hat, sondern wegen der Tatsache, dass die hiesige Weinkontrolle in Rotweinen aus Argentinien den in der EU verbotenen Wirkstoff  Natamycin nachgewiesen hat. Die gemessene Konzentration ist zwar nach Angaben der Behörden so gering, dass davon keine Gesundheitsgefahr ausgeht. Und nach Meinung von Experten macht Natamycin „in einer solchen Dosis“ auch önologisch überhaupt keinen Sinn. Aber das ist irrelevant. In Europa ist es nun mal verboten, Wein mit dem Antimykotikum zu behandeln oder in Verkehr zu bringen. Es gilt die Null-Toleranz-Grenze. Das heißt, die gemessene Konzentration kann auch noch so gering sein – die beanstandeten Weine sind rein rechtlich nicht verkehrsfähig. Basta. Konsequenterweise müssen die „Verantwortlichen“ die betroffenen Weine aus dem Verkehr ziehen. Und das ist vollkommen richtig.
Das Kuriose an der Sache: Von allein wäre die Weinkontrolle möglicherweise gar nicht darauf gekommen. Angeblich haben hiesige Behörden bis vor kurzem gar nicht über die Analysemethoden verfügt, um Natamycin valide (gerichtsfest) nachzuweisen. Den Stein ins Rollen brachten erst die Testergebnisse eines privaten Labors und flankierende Medienberichte, in denen die Gefahr eines neuen Weinskandals heraufbeschworen wurde.
Seitdem beschäftigt das Thema Natamycin die Weinkontrolle, die Branche und die Labors. Die Behörden haben inzwischen mehrere hundert Proben gezogen und veröffentlichen quasi im Wochentakt neue Funde. Importeure und Distributeure sind in heller Panik. Der Handel räumt vorbeugend Weine aus den Regalen, die laut amtlicher Bestätigung gar kein Natamycin enthalten. Derweil zählen Laborbetreiber die verdienten Euro. Und die verunsicherten  Konsumenten?
Die wissen mal wieder nicht, wie ihnen geschieht. Schon wieder „gepanschter“ Wein, dürfte die einzige Botschaft sein, die in vielen Verbraucherköpfen hängenbleibt. Das heißt: Vermutlich  steht nicht nur argentinischer Wein für längere Zeit in der Büßerecke, sondern auch Wein aus Südafrika, aus der Neuen Welt oder Wein insgesamt. Distributeure und Handel sind längst zu Getriebenen von Labors geworden, die immer wieder geschickt und gezielt neue Geldquellen erschließen. Mittlerweile ist die moderne Analysetechnik so ausgefeilt, dass sich im Wein winzigste Spuren von Substanzen finden lassen, wenn man sie nur sucht. Womöglich lässt sich schon nachweisen, ob ein Hund sein Häufchen in einen Wingert gemacht hat – inklusive der Frage, um welche Hunderasse es sich handelt und ob der Lumpi Trocken- oder Nassfutter gefressen hat.
Natürlich hat sich die Branche die Situation zu einem gewissen Teil selbst eingebrockt – mit dem Hunger nach Medaillen und Zertifizierungen. Der damit einhergehende Analysewahn hat fast schon zu einem paranoiden Sicherheitsstreben geführt. Das System droht allerdings gerade zu pervertieren. Und man darf schon gespannt sein, welche Sau als nächstes durchs Dorf getrieben wird. Das „i-Tüpfelchen“ sind bei alledem allerdings Fachmedien, die Fälle wie den der Natamycinfunde zu Skandalen aufbauschen und einzelne Marktteilnehmer genüsslich in die Pfanne hauen. Wenn die Schwestergesellschaften solcher Medien, die als Zertifizierer bzw. Veranstalter von Weinwettbewerben fungieren, der Branche ihre Dienste zur Problemlösung in Sachen Natamycin anbieten, dann kriegt das Ganze einen ganz unappetitlichen Beigeschmack. Dann kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass da jemand das Deckmäntelchen des unabhängigen, investigativen Journalismus‘ und des Verbraucherschutzes nutzt, um in Wirklichkeit die knallharten wirtschaftlichen Interessen des eigenen Arbeitgebers zu verfolgen und gleich noch ein paar unliebsame Kontrahenten zu denunzieren.
Ganz klar: Sauereien im Wein müssen aufgeklärt und die betroffenen Weine aus dem Verkehr gezogen werden. Aber wer meint, auf einer angeblich heißen Story sein Egosüppchen kochen zu müssen, der schadet der Branche mehr, als dass er ihr nützt. Schließlich ist nicht nur einer, sondern eine ganze Reihe von Distributeuren betroffen. Die sind aber keineswegs die Verursacher, sondern die Geschädigten. Denn als „Inverkehrbringer“ der Weine müssen sie jetzt die Suppe auslöffeln, die ihnen ihre Lieferanten eingebrockt haben. Niemand braucht in einer solchen für den Wein insgesamt schädlichen Situation hämische Schreiber. Was gebraucht wird, ist eine objektive und unaufgeregte Berichterstattung, die das Problem thematisiert und Verbraucher wie Händler informiert, nicht aufscheucht.
 
Werner Engelhard
 
Aus der Dezember-Ausgabe WEIN+MARKT
 
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Informationen zu Natamycin in W+M: