12. Juli 2023

Qualitätsschub bei Alkoholfrei

Entalkoholisierte Weine gehören aktuell zu den Wachstumsthemen, über die die
Weinbranche gerne spricht. Im ProWein-Business-Report 2023 gaben nicht weniger als 16 Prozent der Weinfachhändler an, auf der Suche nach neuen Produkten aus diesem Segment zu sein. WEIN+MARKT hat deshalb für den Fachhandel nach geeigneten Weinen gefahndet. 148 alkoholfreie Weine und schäumende Getränke – alle mit Grundweinen aus deutschem Anbau gemacht – landeten so auf den WEIN+MARKT-Verkostungstischen.
Der erstmals in dieser Breite und Fülle organisierte Test zeigt: Die Produkte werden eindeutig besser. Unsere Jury konnte viele echte Empfehlungen fürs Fachhandelsregal identifizieren.
 
 
Jeder dritte Weinfachhändler sieht sehr gute Absatzchancen für Wein mit ­wenig Alkohol, jeder vierte für alkoholfreie Weine – zu diesem Fazit kommen die Studienautoren des ProWein-Business-Reports um Prof. Dr. Simone Loose von der Hochschule Geisenheim. Bei den Produzenten sieht es noch eindrucksvoller aus: Fast die Hälfte (46 Prozent) der befragten Weinproduzenten und Händler wollen ihr Produktportfolio laut Studie an diese Markttrends anpassen. 
Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die No-&-Low-Kategorie laut Susie Goldspink, Head of No-&-Low-Alcohol Insight beim britischen Marktforscher für die Wein­branche IWSR Drinks Market Analysis global zu den am stärksten wachsenden Getränkesparten zählt. Für das Jahr 2022 wurden acht Prozent Wachstum ermittelt. Bis 2027 erwarten die Marktforscher eine jährliche durchschnitt­liche Umsatzsteigerung von sieben Prozent. Grundlage dieser Zahlen: In allen Schlüsselmärkten will etwa die Hälfte der ­Konsumenten ihren Alkoholkonsum drosseln.
Welche Ansprüche Konsumenten an das Segment haben, zeigt die Weinnova-Studie der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heilbronn (s. Seite 30). Alkoholfreie Weine gibt es übrigens bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts. In den vergangenen Jahrzehnten waren es aber zunächst die ­Kategorien Bier und Cider, die den Bereich Alkoholfrei mit technischen Innovationen voran brachten. Dass mittlerweile auch der Entalkoholisierung von Wein eine hohe Aufmerksamkeit gewidmet wird, zeigen die ­guten Ergebnisse unseres Tests. 
 
Das Testfeld
Für unseren aktuellen Test für Fachhändler hat WEIN+MARKT Weingüter, Produzenten und Entalkoholisierungs-Dienstleister ­gebeten, alkoholfreie Produkte, schäumend und still, aus deutschen Grundweinen aus ­ihrem Portfolio zur Verfügung zu stellen. ­Insgesamt 148 entalkoholisierte Produkte wurden eingereicht, davon 14 biozertifiziert. Rechtlich fallen die schäumenden Getränke aus entalkoholisierten Weinen zur Zeit noch unter das Lebensmittelrecht, während für entalkoholisierte oder alkoholfreie Weine ­bereits das Weinrecht gilt, aber noch Ausführungsbestimmungen zu einzelnen Punkten fehlen (s. Kasten auf S. 31). Bei der Verkostung bewertete die Jury die alkoholfreien ­Produkte als eigenes Segment. Alkoholhaltige Weine waren somit kein Maßstab. Dennoch ­achteten die Verkoster auf Rebsortentypizität und eine gewisse „Weinigkeit“ der Produkte.
Matthias Walter, aktuell mit MW Consulting als Repräsentant des Bundesverbands der Weinkellereien in Brüssel beratend aktiv und vormals als Direktor Weineinkauf für die Wein- und Sektherstellung bei Henkell zuständig, beobachtet das Feld der Alkohol­freien seit Jahrzehnten. „Bei den schäumenden Getränken merkt man etwas mehr Erfahrung, dafür ist beim Stillwein das Experimentierfeld groß – hier kommen auch sicher empfehlenswerte Produkte heraus. Hier und da fehlte etwas die Balance, die Ansätze sind aber gut“, so Walter in seinem Fazit unmittelbar nach der Verkostung. 
In der Tat wurden 58 der 148 Weine von unserer Jury in der Verkostung mit „gut bis sehr gut“ (14,0 bis 15,9 Punkte) bewertet. Das sind rund 39 Prozent aller Produkte. Nur sieben Produkte schnitten „schwach“ (10,0 bis 11,9 Punkte) ab, ein einziges wurde als „fehlerhaft“ bewertet. 82 Weine bewegten sich im „ordentlichen“ Bereich. Der Gesamtdurchschnitt aller Weine lag bei 13,6 Punkte – für eine Kategorie, die in der Vergangenheit wegen geschmacklicher Mängel oft in der Kritik war, ein bemerkenswert gutes Ergebnis und Beweis einer positiven Entwicklung. 
 
Weiße Schäumer überzeugen
Bei den insgesamt 43 weißen ­alkoholfreien Schäumern gelang allein 19 Weinen der Sprung in den guten bis sehr guten Bereich. Dabei stachen Produkte wie der Dri.Ver! – Sparkling des Weinguts Dr. Hinkel mit 14,7 Punkten, Secco Muskateller Alkoholfrei der Weingärtner Cleebronn-­Güglingen mit 14,5 Punkten, Vis á Vis des Weinguts Friedrich Kiefer mit 14,5 Punkten und der Bodensee Kressecco alkoholfrei der Weinkellerei Steinhauser mit 14,5 Punkten heraus. Auch die Robert Schätzle Cuvée Zero von Schloss ­Neuweier wurde wie die 2022er Cuvée Blanc des Winzerkellers Auggener Schäf mit 14,5 Punkten bewertet.
 
 
Rosé-Schäumer mit Potential
Bei den Rosés waren die Verkoster vom Durbacher Edelmann Rosé Alkoholfrei (14,1 Punkte) der Durbacher Winzer, der Rosé-Variante von Robert Schätzles Cuvée Zero (14,1 Punkte) und vom Feel free Rosa der SM SektManufaktur (14,0 Punkte) sehr angetan. Die 14 schäumenden Rosés ­erreichten mit 13,2 Punkten allerdings auch eine deutlich niedrigere Gesamtnote als die weißen Schäumer (13,7 Punkte). Noch niedriger lag die Durchschnittsnote nur bei den Rotweinen. 
„Ich fand die Probe sehr spannend und hatte Glück mit den Schaumweinen“, sagt Ulrich Bog von der Weinkellerei Adam Trautwein, Lonsheim „Die kleinsten Mängel am Grundprodukt werden bei alkoholfreien Weinen nicht verziehen.“ Da der wichtige Geschmacksträger Alkohol entzogen wird, mit dem auch ein massiver Volumenverlust (meist 12 Prozent und mehr) einhergeht, konzentrieren sich bei entalkoholisierten Produkten andere Aromen deutlich schmeckbar auf. 
 
 
 
Stille Rosés echte Alternative
Die 19 Rosé-Stillweine wiesen eine Durchschnittsbewertung von 13,8 Punkten auf. Ein Spitzenprodukt wie der 2022 Pinot Rosé Null Alkohol – voller Genuss des Weinguts Wolfgang & Andreas Löffler erreichte 15,2 ­Punkte. Der Rosé Alkoholfrei der Weingärtner Cleebronn-Güglingen erreichte 14,9 Punkte, die Cuvée Rosé 0,0% des Badischen Winzerkellers 14,8 Punkte. Mit der Creation Rosé alkohol­frei des Weingut Julius Zotz, der 2022 Cuvée Rosé vom Weingut Diehl, und dem Freispiel Sorry Not Sorry der Weingärtner Stromberg-Zabergäu folgten weitere Weine mit 14,7 Punkten dicht dahinter. 
 
 
 
Weiße Stillweine führen 
Die höchsten Bewertungen wurden ­innerhalb der Gruppe der entalkoholisierten Weißweine vergeben: der Reverse Sauvignon Blanc entalkoholisiert des Weinguts ­Bergdolt-Reif & Nett erreichte 15,5 Punkte, der 2022 Save water drink Riesling free vom Weingut Allendorf 15,4 Punkte. Dahinter ­kamen mit 2022 knyp Zero von Knyphausen und dem alkoholfreien Riesling der Weincrowd Schmitt & Seidel zwei Weine auf je 14,8 Punkte. Der Frank & Frei Komma,nix (Baldauf Rams­thal), der 2021 Riesling & Sauvignon Blanc des Weinguts Anselmann, und der 2022 Free Willi bio des Wilhelmshofs folgten mit 14,7 Punkten in der Wertung. Die Cuvée Blanc des Weinhaus Lergenmüller mit 14,6 Punkten, der Reverse Pinot Bianco ent­alkoholisiert von Bergdolt-Reif & Nett und der entalkoholisierte 2022 Bio ­Weißburgunder des Weinguts Matthias Keth erreichten je 14,5 Punkte. Insgesamt 20 Produkte aus dieser 58 Produkte umfassenden Kategorie sprangen über die 14-Punkte-Marke, ab der ­WEIN+MARKT von guten bis sehr guten ­Produkten spricht. 
 
Rote Stillweine enttäuschen
Rotwein gilt als die vielleicht ­schwierigste Kategorie beim Entalkoholisieren. Hier nahmen lediglich 13 Produkte teil und diese ­erreichten eine Durchschnittsnote von 13,1 Punkten. „Die Rotweine machen nur ­einen kleinen Teil des Segments aus und hier merkt man den Erfahrungsmangel. Allerdings sind sich einige nicht über die ­Anforderungen an die Grundweine im Klaren. Das ­Modell ‚Resteverwertung‘ funktioniert nicht mehr“, sagt Florian Wernersbach von der ­Weinkellerei Adam Trautwein. Bei unserer Verkostung konnten sich der Reverse Rotwein des Weingut Bergdolt-Reif & Nett (14,4 Punkte), der 2021 Null‰ des Winzerhofs Ebringen mit 14,4 Punkten und die 2022 Cuvée Rot des ­Winzerkellers Auggener Schäf mit 14,3 sowie Seck Zero Rot Bio des Weinguts Seck mit 14,0 Punkten sensorisch besonders positiv in den Fokus der Verkoster schieben. 
„Als Händler würde ich mich beim Rotwein eher im Ausland bedienen. Vielleicht stimmt dort das Know-how, vielleicht sind die vom Ausgangsmaterial etwas ­besser geeignet“, sagt Lars Girard, Wein- und Event­agentur L. H. Girard, Hamburg. In den letzten zwei Jahren sei er immer öfter auf Alkohol­frei angesprochen worden. „Obwohl die Produkte schon hochpreisig sind, können die Produzenten noch mutiger ­werden“, sagt Girard. 
Entalkoholisierung ist und recht kost­spieliger Prozess. Im Testfeld reichten die Produzenten Weine im Bereich von vier Euro bis 15 Euro ein. Mit 61 Produkten war die Gruppe der Weine zwischen acht und zehn Euro die zahlenmäßig stärkste. 45 Weine wurden für 5 bis 8 Euro angeboten. Für 24 Weine werden Preise von 12 bis 15 Euro aufgerufen. 14 ­Weine ­bewegten sich in der Preisschiene 10 bis 12 Euro. Das kleinste Feld ­versammelte sich bei 4 bis 5 Euro. Die höchsten Durchschnittsnoten entfielen auf die teuerste (13,8 Punkte), die zweit­teuerste (13,7 Punkte) und die günstigste Preisschiene (13,7 Punkte).
 
 
 
„Wir kommen von der Grundschule inzwischen auf die weiterführende Schule. Erste Erfahrungen sind gesammelt, nun gilt es, ­diese zu vertiefen. Viele Produkte sind schon gut, andere höchstens Durchschnitt. Die Branche hat mit Alkoholfrei aber die Chance, neue Zielgruppen zu erschließen“, sagt Michael Berger von „Das Team“, Neustadt/Weinstraße. 
 
Rebsorten geben Orientierung 
„Wenn man neue Zielgruppen erschließen möchte, dann kann ich mich bei Alkoholfrei auch mal von meinem Weinwissen lösen und den Namen der Tochter aufs Etikett schreiben – Rebsortentypizität wird zweitrangig, wichtiger ist dann die Geschichte“, sagt Lars Girard. Othmar Schregel, Geschäftsführer von Remy & Kohlhaas in Eltville, sieht das anders. Die Rebsorten beschrieben schließlich den Wein-Charakter. So erhielten Verbraucher eine Orientierung. „Carl Jung hat beispielsweise Rebsortenweine und Cuvées im Angebot. Die Rebsortenweine werden viel stärker nachgefragt, obwohl sie ­höherpreisiger angeboten werden”, so ­Schregel.
„Ich hätte die vorhandene Vielfalt nicht ­erwartet”, sagt Paul Will vom Weingut Lamm-Jung, Eltville-Erbach. Besonders ­beeindruckte ihn die Typizität in ­einigen ­Weinen. „Gerade die Rieslinge haben sich sehr gut geschlagen, das hätte ich nicht gedacht. Viele aromatische Sorten, denen ich mehr zugetraut hätte, ­haben hingegen enttäuscht.“ Rebsorten ­spielten in unserem Test auf den ­Etiketten eine viel ­größere Rolle als etwa der Jahrgang. 33 ­Produkte entstammten dem Jahrgang 2022, 16 dem Jahrgang 2021 – die Mehrheit wies keinen aus. Die Möglichkeit, das Anbaugebiet auf dem Etikett anzugeben, könnten die jeweiligen Schutzgemeinschaften schaffen – bislang ist das aber Zukunftsmusik. 
Mit 42 Produkten bildeten Rieslinge (teils als Cuvée) die Mehrheit, aus Spätburgunder waren 18 der Weine gemacht. Weitere wichtige Rebsorten waren Müller-Thurgau (15), Muskateller (14) und Sauvignon Blanc (12). Die höchste Durchschnittsnote erzielten aller­dings die sieben Weißburgunder mit 14,3  Punkten. Sauvignon Blanc (13,9) und Riesling (13,7) lagen über dem Gesamtschnitt von 13,6 Punkten. Die meisten schwachen und der einzige als fehlerhaft wahrgenommene Wein basierten auf Müller-Thurgau.  „Ich habe mich manchmal schwer damit getan, Wein mit Alkohol als Bewertungsmaßstab ganz außen vor zu lassen. Spannend fand ich den Übergang von Schaumweinen zu den weißen Stillweinen. Meine Favoriten hatten tatsächlich Weincharakter“, sagt Eva Brockmann, Winzerin und 65. Fränkische Weinkönigin. 
 
Jan Bertram