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12. März 2010

Was ist das eigentlich... Weinsteinstabilisierung?

„Igitt, da sind Glasscherben drin!“ Weinkonsumenten halten Weinsteinkristalle oft für Glaspartikel. Doch Weinstein in der Flasche ist kein Makel. Der klassische Weinstein, das Kaliumsalz der Weinsäure oder auch Kaliumhydrogentartrat, kommt als farb-, geruch- und geschmacklose Kristalle vor. Heutzutage sind Kristalle in den Weinflaschen aber unerwünscht. Um sie zu verhindern, ist die so genannte Weinsteinstabilisierung nötig.
 
Wenn sich Weinstein in der Flasche bildet, bedeutet das, dass der Wein reich an Mineralien ist und sehr schonend vinifiziert wurde. Dennoch scheuen die meisten Händler und erst recht die Weinexporteure die Auseinandersetzungen mit ihren Kunden und erwarten von den  Kellermeistern, dass sie alles dafür tun, dass sich kein Weinstein in der Flasche bildet. In der Önologie heißt diese Maßnahme Weinsteinstabilisierung. Was ist der Hintergrund? Die Reben nehmen während der Sommermonate Kalium, Kalzium und viele andere Mineralstoffe aus dem Boden auf. In den Trauben werden Weinsäure, Äpfelsäure und andere organische Säuren gebildet. Weinstein bildet sich (in der Chemikersprache: „fällt aus“), wenn der Gehalt an Weinsäure im Wein die Menge übersteigt, die der betreffende Wein in gelöster Form halten kann, wenn der Sättigungspunkt also überschritten ist. Das ist in erster Linie von der Temperatur, aber auch vom pH-Wert (je höher, desto geringer die Löslichkeit), dem Alkoholgehalt und dem Vorhandensein geeigneter Bindungspartner, wie Kalium oder Kalzium, abhängig. Beide Mineralien verbinden sich gerne mit den Weinsäuremolekülen und bilden Kristalle. Kaliumhydrogentartratkristalle sehen Glasscherben wirklich sehr ähnlich. Kalziumtartratkristalle zeigen sich unter dem Mikroskop wohlgeformt und erinnern an Edelsteine. Eine dritte Art von Weinstein sei an dieser Stelle noch erwähnt: das Kalziummucat. Es entsteht aber nur, wenn die Trauben stark mit Botrytis befallen waren, also zum Beispiel in Trockenbeerenauslesen. Seine Kristalle sehen aus wie Hagelzucker. Wie lässt sich nun ein Wein „weinsteinstabil“ machen, also Weinstein in Flasche und Weinglas verhindern? Grundsätzlich gibt es drei Methoden: Entweder, die überschüssige, „labile“ Menge Weinsäure wird schon im Tank dazu gebracht, in Form von Kristallen auszufallen (die Kristallausscheidung wird also beschleunigt), oder die Kristallisation in Tank oder Flasche wird mittels erlaubter Zusätze generell verhindert. Eine dritte Methode ist, den Gehalt an Weinsäure oder deren Bindungspartner zu verringern. Dies kommt in der Praxis einer Entsäuerung (siehe WEIN+MARKT 9/2009) oder dem Entziehen wichtiger Mineralien gleich. Beides ist der Qualität nicht förderlich. Zur Weinsteinstabilisierung durch Beschleunigung der Kristallausscheidung gibt es folgende Möglichkeiten:
+ Extreme Kühlung des Weins auf -3 Grad Celsius für mehrere Tage. Der Weinstein setzt sich an den Wänden und am Boden der Tanks ab.
+ Einsatz von so genannten Kratzkühlern oder anderen Maschinen, die den Wein stark kühlen und die Kristalle entfernen.
+ Zugabe von Weinstein als Kristallisationskerne.
+ Umkehrosmose, mit der der Wein durch die Abtrennung von Wasser konzentriert und die Konzentration der Weinsäure so hoch wird, dass eine natürliche Kristallausscheidung einsetzt.
Stabilisierung mittels kristallisationshemmender Stoffe geschieht durch:
+ Zusatz von Metaweinsäure (polymerisierte Weinsäure, ein natürlicher Inhaltsstoff von Wein), die eine Kristallisation verhindert.
+ Zugabe von Carboxymethylcellulose (CMC, eine Pulpe aus Holz), die ebenfalls eine Kristallisation verhindert. Die Wirkungsweise beruht auf so genannten Kolloiden, negativ geladenen größeren Molekülen, die sich an das überschüssige Kalium oder Kalzium anlagern und so eine Kristallausscheidung verhindern. Eine solche Wirkung haben neben den oben genannten Stoffen auch Eiweiße (Mannoproteine), Aminosäuren, Gerbstoffe oder Polysaccharide (Mehrfachzucker wie Gummi arabicum, das aus Akazien gewonnen wird).
Stabilisierung durch Entfernung der Inhaltsstoffe kann geschehen mittels:
+ Elektrodialyse, mit der die Kalium-und Kalziumionen entfernt werden. Praktisch alle Weißweine aus moderner Produktion sind heute weinsteinstabil abgefüllt.
Nur noch traditionell handwerklich arbeitende Betriebe verzichten auf eine forcierte Weinsteinstabilisierung. Aus traditioneller Sicht stellt sich allerdings die Frage: Wofür das alles? Erstens stellt Weinstein keinerlei Beeinträchtigung der Weinqualität dar. Zweitens stabilisiert sich jeder Wein hinsichtlich der Weinsäure irgendwann ganz allein. Die ganzen technischen Tricks wären also alle gar nicht nötig? Jedenfalls nicht wegen des Weinsteins. Aber Reklamationen möchte sich jeder Erzeuger und Händler ersparen.