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04. April 2011

Was macht der eigentlich... Sauerstoff im Wein?

Was macht eigentlich der Sauerstoff im Wein? In jüngster Zeit wird der Einfluss des Sauerstoffs auf den Wein immer mehr auch in Verbraucherkreisen diskutiert – weit über die Frage des Dekantierens oder „Atmenlassens“ hinaus. Das hat mit der zunehmenden Verbreitung von Drehverschlüssen zu tun, aber vermutlich auch mit der gigantischen Image- und Werbekampagne eines Herstellers von Kunststoffstopfen, der sich selbst als den führenden Produzenten synthetischer Flaschenverschlüsse und als Spezialisten für Sauerstoffmanagement bezeichnet.
Die alte Schule der Önologie hat uns gelehrt: Sauerstoff (chemisch: O2) ist Gift für den Wein. Diese Meinung hat schon Louis Pasteur im 19. Jahrhundert vertreten. Die moderne Önologie hält es mehr mit Paracelsus, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts lebte, und zitiert ihn: „Sola dosis facit venenum“ – nur die Dosis macht etwas zu einem Gift. Ist Sauerstoff nun Gift für den Wein oder nicht? Die Antwort kennen die Älteren unter unseren geneigten Lesern, die sich noch an Radio Eriwan erinnern: „Im Prinzip ja, aber …“ Der Sauerstoff aus unserer Atemluft, ohne den kein höher entwickeltes Leben auf der Erde möglich wäre, verändert zu jedem Zeitpunkt im Leben eines Weins dessen Geschmack und kann das moderne Bild, das wir heute von einem Wein haben, letztlich völlig zerstören. Ein oxydierter Weißwein ist hochfarbig, riecht nach schrumpeligen Äpfeln oder gar nach Acetaldehyd (wie eine „Alkoholfahne“ beim Menschen) und lässt weder Frucht noch Sortenart erkennen. Am Gaumen schmeckt er gezehrt, müde und leer. Ein oxydierter Rotwein ist deutlich braun, riecht nach faulen Rumfrüchten, Schuhcreme oder Maggikraut und schmeckt am Gaumen ebenfalls strukturlos und gezehrt. Richtig eingesetzt, kann Sauerstoff aber auch helfen, den Geschmack positiv zu beeinflussen oder ein bestimmtes erwünschtes Geschmacksbild herzustellen. Letzteres ist beim Amontillado- Sherry der Fall. Im Gegensatz zum Fino wird der Amontillado in der Solera nicht von der sherryeigenen Florhefe bedeckt und ist so dem Sauerstoff ungeschützt ausgesetzt. Die Unterschiede in Farbe und Geschmack sind offensichtlich. Voll auf Sauerstoff setzen auch die Winzer im Jura, um ihren Vin Jaune (Gelben Wein) herzustellen. Bei beiden Produkten erkennt man, was eines der wichtigen Merkmale des Sauerstoffeinflusses ist: die Verfärbung des Weins in Richtung Gelb-Braun. Je mehr Gerbstoffe ein Wein enthält, desto brauner wird er unter Sauerstoffeinfluss. Deshalb verfärben sich die meisten Weißweine in Richtung Bronzegelb, und die Rotweine werden deutlich braun. Den positiven Einfluss des Sauerstoffs machen sich berühmte Önologen wie Michel Rolland zu eigen und empfehlen ihren Kunden schon seit vielen Jahren die so genannte Mikrooxigenierung. Dahinter verbirgt sich eine gezielte Zugabe von reinem Sauerstoff (in der EU seit dem Jahr 2000 zugelassen) in Form von kleinsten Bläschen, die durch junge Rotweine geschickt werden, um deren unangenehme Gerbstoffe abzurunden und die Farbstoffe (Anthocyane) zu vertiefen und zu stabilisieren. Die Weine werden viel früher trinkreif, als dies durch alleinige Fassreife geschehen würde. Sehr positiv wirkt sich der Sauerstoff aber auch im frisch gepressten Traubenmost aus. In diesem Stadium sind Bräunungseffekte durch die Verbindung von Sauerstoff und Gerbstoffen (Bitterstoffe) sogar erwünscht, weil Weißweine dadurch eleganter und geschmeidiger werden. Die Bräunung verschwindet während der alkoholischen Gärung wieder. Ist ein Wein aber erst einmal in Flaschen abgefüllt, sollte Sauerstoff von ihm ferngehalten werden. Vor allem von aromatischen, jungen Weißweinen. Denn der Duft von Traminer oder auch Riesling ist sehr schnell unwiederbringlich zerstört. Allein durch den Vorgang der Abfüllung und den vorhandenen Luftraum unter dem Verschluss ist für eine langsame Reifung in der Flasche immer genügend Sauerstoff vorhanden. Auch dann, wenn in einer hochmodernen Abfüllanlage die Luft im Flaschenhals durch Stickstoff oder Kohlensäure ersetzt wird. Für das Flaschenlager gilt also: Sauerstoff ist Gift und zerstört über kurz oder lang den Wein. Die konstante Sauerstoffdurchlässigkeit eines Flaschenverschlusses, sei es kontrolliert oder nicht, ist und bleibt tödlich für den Wein. Beim Weißen früher, beim Roten später. Klaus Herrmann
 
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