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05. Juni 2009

Wie kommt eigentlich … die Süße in den Wein?

Erst seit etwa 50 Jahren können die Winzer aufgrund technischer Hilfsmittel
gesteuert restsüße Weine erzeugen. Vorher waren diese eher ein Zufallsprodukt
der Natur. Wir erklären, mit welchen Methoden heute gearbeitet wird.
Bis vor gut 50 Jahren waren Weine mit deutlicher Restsüße eine absolute Seltenheit und wurden nur in außergewöhnlich guten Jahren geerntet. Wer kennt nicht die nette Geschichte der Entdeckung der Spätlese im Jahr 1775, die angeblich einem verspäteten Fuldaer Bischofsboten zu verdanken ist? Die gehorsamen Johannisberger Mönche im Rheingau warteten mit dem Beginn der Lese, bis die Genehmigung dazu eintraf, und weil die sehr spät eintrudelte, ernteten sie in dem Jahr nur noch verfaulte (heute sagen wir „edelfaule“) Trauben.  Die Überraschung war groß, als sie feststellten, dass die Weine auch nach der Gärung noch süß waren. Die Reize der „Restsüße“, des unvergorenen Zuckerrests im Wein, waren entdeckt. Die Restsüße im Wein konnten sie aber aufgrund fehlender technischer Möglichkeiten nicht jedes Jahr reproduzieren. Erst fast 200 Jahre später brach in Deutschland
die süße Welle aus. Clevere Ingenieure hatten Verfahren entwickelt, mit denen die Gärung
des Traubenmosts verhindert werden konnte. Solche „sterilisierten“ oder  "stummgeschwefelten“ Traubenmoste nennt man „Süßreserve“. Ein süßer Reservewein kann den „durchgegorenen“ Weinen kurz vor der Abfüllung in beliebiger Dosage wieder zugesetzt
werden – und schwupp entsteht ein lieblicher Wein. Inzwischen haben viele moderne
Betriebe die technischen Möglichkeiten zur physikalischen Gärunterbrechung. Damit lässt
sich eine erwünschte „echte“ Restsüße im Wein erhalten. Um feinherbe, milde oder gar
lieblich-süße Weine zu erhalten, gibt es im Prinzip also drei Möglichkeiten (die schlichte Zugabe von Zucker gehört nicht dazu!): Die natürlichste wäre die, die Trauben so lange am Stock hängen zu lassen, bis ihr Zuckergehalt so weit angestiegen ist, dass
es die Hefen später gar nicht schaffen, sämtlichen Traubenzucker in Alkohol umzuwandeln.
Dies passierte 1775 in Johannisberg. Das Ergebnis sind allerdings Weine mit unvorhersehbarem Restzuckergehalt und extrem hohem Alkohol, da es für
die gängigen Hefen kein Problem darstellt, den Zucker bis 14,5% oder 15,5% Vol. Alkohol zu verarbeiten. Bestimmte moderne Reinzuchthefen sind sogar in der
Lage, bis zu einem Alkoholgehalt von 16,5% Vol. zu vergären. Das entspricht einem ursprünglichen Gehalt im Most von 280 g/l Zucker oder 118 Grad Öchsle. Vollständig durchgegoren würde am Ende dennoch ein trockener Wein entstehen. Dies ist also
eine untaugliche Methode. Die über Jahrzehnte übliche Methode ist die Zugabe von  Süßreserve,  bis der gewünschte Süßegrad im Wein erreicht ist. Süßreserve erhält man entweder durch „Stummschwefeln“ von Traubenmost direkt nach der Pressung. Das heißt,  em filtrierten Traubensaft wird so viel Schwefeldioxidgas zugegeben, bis sich keine   Mikroorganismen wie Hefen oder Bakterien mehr entwickeln können. Der Wein
bleibt „stumm“, er fängt also nicht an zu gären. Das Problem dabei ist, dass der
Schwefel vor der Verwendung des Mosts als Süßreserve wieder entfernt werden muss. Das ist ein aufwändiges und nicht billiges Verfahren. Außerdem wird der Most geschmacklich stark beeinflusst oder sogar verfremdet. Die andere Möglichkeit ist die so genannte Kaltsterilisation mittels Filtration und Einlagerung in einem Drucktank unter Kohlensäuregas.
Alle Mikroorganismen werden entfernt und die Bildung neuer wird durch die Einlagerung
unter hohem Kohlensäuredruck verhindert. Auch das ist ein kostspieliges Verfahren, da teure Installationen und Kohlensäure in großen Mengen benötigt werden.
Der Vorteil ist die Geschmacksneutralität und die Frische durch die enthaltene Kohlensäure.
Seit einigen Jahren bevorzugen Spitzenerzeuger bei der Erzeugung restsüßer Weine die
physikalische Gärunterbrechung zum gewünschten Zeitpunkt. Mittels Kälte und Filtration werden die Hefen aus dem Wein entfernt und die Gärung somit abgebrochen, bevor der Zucker komplett verarbeitet ist. Nachteil: Der Wein kann mit Restsüße nur
wenige Tage im Keller liegen und muss deshalb rasch abgefüllt werden. Vorteil: Die Methode ist sehr schonend, und der im Wein erhaltene Restzucker besteht
zum überwiegenden Teil aus Fruktose, da die Hefen zunächst den Glukoseanteil am  Taubenzucker verarbeiten. Fruktose macht sich geschmacklich vorteilhaft im Wein bemerkbar.
 
 
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