29. April 2016

Weinmarketingtag Heilbronn: Kunden-Kenner werden

Kunden finden, Kunden binden - dieser zeitlose Klassiker unter den Marketingthemen stand am 28. April mit 150 Teilnehmern auf dem Bildungscampus Heilbronn im Brennpunkt des Interesses. Angesichts von weltweiter Überproduktion bei der Weinproduktion, verschärftem Wettbewerb im Handel (stationär/online/Multichannel), zwischen Fach- und normalem Einzelhandel, wurde deutlich, weshalb es heutzutage wohl wichtiger denn je ist, seine Kunden zu kennen.
 
...
Es gibt Überproduktion allerorten, selbst gewachsene Kundenbeziehungen können unter Druck geraten, und nicht jeder Produzent kann genau formulieren, was genau ihn von seinen Wettbewerbern unterscheidet – an dieser vom routiniert vortragenden Wissenschaftler und Management-Berater Professor Dr. Thomas Platzek an die Ausgangsposition der 2016er Ausgabe des Heilbronner Weinmarketingtags gestellten Analyse ist kaum zu rütteln. Nur wenige Unternehmen schaffen es, dass eine begeisterte Schar von Kunden vor den Verkaufsstellen der Produkte campiert, um die neueste Ausgabe glücklich in den Händen zu halten. Apple/Steve Jobs und Tesla/Elon Musk sind Beispiele mit Seltenheitswert. Platzek plädierte dafür, sich einzugestehen, dass es nur vier USPs gebe: Entweder könne man etwas günstiger, besser, schneller oder verlässlicher anbieten als die Mitbewerber. Anbieter sollten sich auf den Kundennutzen konzentrieren, der neben funktionellen Leistungen (Qualität, technische Überlegenheit o. ä.) eben auch emotionale Leistungen (Gefühle, Erfahrungen, Beziehungen), symbolische Leistungen (Imagetransfer, Selbstverwirklichung) und soziale Leistungen (ethische Grundsätze) enthalten könnte. Dabei machte Platzek, der u. a. auch Jacques‘ Wein-Depot in Sachen Kundensegmentierung und -management beraten hat, mit Anekdoten klar, dass selbst in vermeintlich rational geprägten Märkten wie der Stahlbranche, in der viele B2B-Geschäfte getätigt werden, andere als funktionelle Leistungen eine große Rolle spielen.
Katja Nasser, Marketingleiterin bei Vinexus/Winelogistix, gab in ihrem Vortrag einen eher didaktischen Einblick, was bei Kundengewinnung und Kundenbindung im Bereich E-Commerce/IT-Dienstleistung & Logistik getan werden kann, in dem die Kundenbeziehung elektronisch belebt werden muss. Innerhalb von 7 Sekunden entscheidet sich, ob ein Online-Besucher auf einer Shopseite verbleibt, sie als interessant und vertrauenswürdig betrachtet. In dem folgenden, im Idealfall mehrere Minuten langen Prozess (User Experience) gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich als schneller, verlässlicher, informativer oder besonders preiswert im Wettbewerb zu positionieren.
Dass sich dieser Aufwand lohnen kann, deckt sich mit Erkenntnissen aus der Wein-Online-Studie, die Michael Pleitgen (Weinakademie Berlin) zusammen mit Studierenden des Weinmarketings in Heilbronn erarbeitet hat. Beunruhigende Erkenntnisse fürs Auditorium: Dieses „Internet-Dings“ wird nicht weggehen und verändert dauerhaft Kaufgewohnheiten und Serviceansprüche. Beruhigende Erkenntnis fürs Auditorium: Käufer, die schon einmal im Shop eines Produzenten gekauft haben, stehen wohl nicht in Konkurrenz zum Fachhandel und sind offen dafür, auch wieder bei einem Produzenten einzukaufen.
Haarsträubende Aussichten hatte Michael Berger, geschäftsführender Gesellschafter von Das Team, zu bieten. Er berichtete aus der Organisationspraxis von mehr als 2.000 Veranstaltungen (neudeutsch: Events oder Live Communication) in 25 Jahren, deren aktuell weitergeführte Ausgaben von mittlerweile mehr als 100.000 Besuchern (potenzielle Kunden) pro Jahr besucht werden. Wer als Weinerzeuger überleben will, der muss damit klar kommen, dass ihm demographisch in Zukunft ein Drittel der potenziellen Kunden (kaufkräftigste Zielgruppe für die Weinvermarktung: 45 bis 69 Jahre) fehlen wird, prognostizierte Berger. Winzer arbeiten seiner Meinung nach sehr hart und viel auf Messen, machen sich aber zu wenig Gedanken darüber, wie sie an Kontaktdaten von Kunden kommen und was sie damit anfangen können. Nach Bergers Einschätzung spielt der Thekenumsatz bei Verkaufsmessen lediglich die Standgebühren ein, der Weinverkauf pro Kunde ergebe Bons von etwas mehr als 100 Euros, aber richtig nachhaltig werde das Messegeschäft meist erst nach drei bis vier Jahren Präsenz.
Viele Gedanken hat sich die Schweizer Coop, größter Weinhändler, Importeur und Weinproduzent der Schweiz, zum Thema Kundendaten gemacht. Miriam Lemke, Leiterin Direktabsatz Wein, stellte in Heilbronn die Grundzüge der Strategie des Handelsriesen (26,9 Mrd. Franken Jahresumsatz) vor. Die Coop fährt zweigleisig, hat einen umfangreichen Webshop (www.mondovino.ch) mit 1.200 Weinen aufgesetzt, in dem die intensive Ansprache aller Weinkunden (stationär und online) der Coop geübt wird. Mit zwei Apps (Mondovino und Coop Super Card), die auch die Verfügbarkeit der Weine im nächsten stationären Coop-Shop anzeigen können, wird die Verknüpfung von online und POS vorangetrieben. Nach zwei Jahren Aufbauarbeit konnten rund 110.000 Mondovino-Kunden erreicht (und segmentiert), aber auch 6% mehr Kunden für Coop generiert werden. 70% der Kunden kaufen stationär, 30% online. Dabei sorgen Onlinekunden durchschnittlich für 30% mehr Umsatz als normale Coop-Weinkunden.
Einen Blick über den eigenen Tellerrand ermöglichte schließlich Adolé Kabwasa, die für das Luxus-Champagner-Haus Krug gearbeitet hat. In einer Welt der oberen Zehntausend, die sich ohnehin alles leisten können und für die der günstige Preis keine große Hilfe bei der Kaufentscheidung bietet, gelten andere Regeln. Nur wer seine Kunden im Luxussegment sehr genau kenne, habe eine Chance, diese mitunter nur sehr wenigen, aber extrem einflussreichen Exponenten gezielt anzusprechen. Sehr feinmaschige Netze sorgen dann dafür, dass etwa Fußballstars das ihrem Image und Lebensstil entsprechende Auto angedient werden kann: dem aus Schwaben stammenden Juve-Star Sami Khedira eher ein Porsche, dem extrovertierten Cristiano Ronaldo ein Ferrari und dem bulligen Tim Wiese ein Lamborghini. Für potenzielle Kunden einer Luxusmarke (potentials) gelten andere Anspracheregeln und Erlebnisformen als für „Friends“, „Lovers“ oder „Passionistas“. Jan Bertram